A. Lange & Söhne – Kette, Schnecke, Nachspannwerk & Co.

Im Gedenken an Walter Lange. Ohne ihn hätte das alles niemals Realität werden können.

A. Lange & Söhne präsentierte auf dem SIHH 2017 als Top-Neuheit den Tourbograph Perpetual „Pour le Mérite“ als unbestrittenes Spitzenmodell der diesjährigen Neuheiten und der Kollektion von A. lange & Söhne insgesamt.
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Die Lange-Neuheiten insgesamt habe ich bereits hier im Forum vorgestellt:

A. Lange & Söhne News 2017

Neben dem, was mich bei A. Lange & Söhne an jeder Uhr begeistert (die Liebe zum Detail, die Bearbeitung der Oberflächen mit verschiedenen Schliffen, Polituren, Kantenbrechungen und Gravuren und die klassische und zeitlose Lange-Optik) weiß der Tourbograph Perpetual „Pour le Mérite“ mich auch mit technischen Höchstleistungen zu beeindrucken.
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Immerhin handelt es sich um eine Uhr mit Tourbillon, Rattrapante-Chronograph, Ewigem Kalender einschl. einer ewigen Monphasenanzeige und einem Constant Force-Mechanismus, welcher der Uhr auch einen Teil der Modellbezeichnung gegeben hat: die Kraftübertragung vom Federhaus zum Gehwerk der Uhr per Kette & Schnecke. Bei A. Lange & Söhne werden diese Uhren „Pour Le Mérite“ genannt.
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Doch was macht die „Pour Le Mérite“ Uhren aus Glashütte so besonders und zudem so wertvoll?
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Und derart komplex, dass A. Lange & Söhne in den 22 Jahren seit der Neugründung gerade einmal fünf Modelle dieses Namens hervorgebracht hat.
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Die hohe Kunst im Uhrenbau ist die Präzision der Zeitmesser. Daran arbeiten die Uhrmacher schon seit Jahrhunderten. Mechanische Uhren immer präziser zu machen lag nicht nur im Ehrgeiz der Uhrmacher, sondern war auch die Voraussetzung für die Erforschung der Welt. Schließlich wurde z.B. die Position eines Schiffs auf dem Ozean auch über die Uhrzeit ermittelt. Einige Minuten Abweichung pro Tag konnten erhebliche Auswirkungen auf die Navigation in der alten Zeit haben.

An der Steigerung der Präzision der mechanischen Uhr arbeiten heute wirklich ernsthaft nur wenige Marken. Lange gehört zweifelsohne dazu. Und so ersann man in Glashütte die Kraftübertragung per Kette und Schnecke für die Armbanduhr. In Schiffschronometern und Beobachtungsuhren gab es dies bei Lange schon früher:
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Die Präzision einer mechanischen Uhr wird von vielen Faktoren beeinflusst. Vom Trageverhalten des Besitzer zum Beispiel. Aber das kann der Uhrmacher kaum beeinflussen.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Kraftübertragung im Uhrwerk. Die Aufzugsfeder im Federhaus gibt ihre Energie normalerweise über Zahnräder an die Gangpartie der Uhr weiter. Nun gibt eine solche Feder nie immer gleich viel Energie ab. Ist sie voll aufgezogen liefert sie mehr Energie als kurz vor dem Ablauf.
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Und das beeinflusst die Präzision der Uhr enorm. Lange macht sich zur Kompensation dieser Schwankungen im Kraftfluss die Hebelgesetze zu nutze.
In Glashütte nennt man das System „Kette und Schnecke“, im Rest der Welt „fusée and chain“.

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Die Kraftübertragung zwischen Federhaus und Hemmung erfolgt über die Kette. Sie misst 0,3 x 0,6 mm (pro Kettenglied) und sie besteht aus nicht weniger als 606 Einzelteilen. Beim Tourbograph Perpetual „PLM“ sind es gar 636 Einzelteile, die Kette ist etwas länger.
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Die Kette ist beim Vollaufzug komplett um das Federhaus gewickelt und setzt an der Schnecke an der kleinsten Windung an. Somit wirkt ein kleiner Hebel, der die große Kraft, besser das hohe Drehmoment des Federhauses weiter gibt.
Nimmt die Kraft der Feder ab, dann wickelt sich die Kette vom Federhaus ab und um die Schnecke herum. Umso weniger Kraft vom Federhaus kommt, um so größer wird der Hebel an der Schnecke, weil sich die Kette immer weiter und in immer größeren Windungen um die Schnecke wickelt. Der größere Hebel kompensiert die die abnehmende Federspannung. Konstante Kraft = höchste Präzision.

Hier die Kette und Schnecke im Uhrwerk der Richard Lange „Pour Le Mérite“ Tourbillon, der großen Schwester der hier vorgestellten Uhr:
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Dieses Kaliber ist etwas mehr skelettiert, so dass man die Einzelteile besser sehen kann.

Lange spendierte den Pour Le Mérite Modellen noch weitere technische Finessen. So wird kurz vor dem Vollaufzug des Federhauses über einen aufwändigen Hebelmechanismus das weitere Aufziehen blockiert.
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Ebenso verhält es sich kurz vor dem Moment, wo die Feder des Federhauses komplett entspannt ist. Ein Mechanismus blockiert die Hemmung kurz vorher, wobei der Sekundenzeiger noch bis zur „60“ weiterläuft und erst dann stehen bleibt. Das macht das Einstellen der Uhr beim wieder in Betrieb nehmen wesentlich einfacher.

Kraft, genauer die konstante Kraftübertragung spielt also im Uhrenbau eine wesentliche Rolle. A. Lange & Sohne hat aber neben der Kette & Schnecke noch einen weiteren Mechanismus entwickelt, der eine konstante Kraftübertragung ermöglicht: das Nachspannwerk.
setwidth1680-lange-lange31-uhrwerk-movement-b6Ein solches findet sich in verschiedenen Uhren von A. Lange & Söhne, z.B. in der Zeitwerk und auch in der Lange 31.
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Ein Nachspannwerk wird immer dann benötigt, wenn entweder die Realisierung von Kette & Schnecke nicht möglich sind (wie bei der Lange 31) oder aber wenn zu bestimmten Zeitpunkten ein sehr großer Energiebedarf z.B. für das Schalten der Stunden und Minutenscheiben der Zeitwerk benötigt werden. Ohne Nachspannwerk würde das schalten dieser Anzeigen soviel Kraft abziehen, dass der Gang der Uhr unpräzise wird.
img_5621Die Lange 31 besitzt, der Name sagt es, sagenhafte 31 Tage Gangreserve. Das Problem dieser gewaltigen Gangreserve ist das große Drehmoment, welches von den 185 cm langen Federn der Federhäuser bei Vollaufzug ausgeht und welches bei der Entspannung eben dieser federn über die Zeit abnimmt.
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Diese Schwankungen im Drehmoment sind umso ausgeprägter, umso stärker die jeweilige Feder ist. In der Lange 31 ist es die stärkste Feder, die in einer Armbanduhr weltweit zu finden ist. Schwankungen im Drehmoment führen aber unweigerlich zu Schwankungen der Präzision einer Uhr, da die Gangpartie eine möglichst konstante Energiemenge vom Federhaus benötigt, um eine gleichbleibende Präzision zu erreichen. Die in der Realität abgegebene Energie ist aber nicht konstant. Bei einer Automatikuhr gleicht sich das bei der Benutzung der Uhr aus, da die Feder mit jeder Bewegung des Arms wieder gespannt und somit Energie gespeichert wird. Bei einer Handaufzugsuhr reduziert sich das Drehmoment des Federhauses konstant, wenn die Uhr läuft.

Das folgende, weiter oben bereits gezeigte Diagramm zeigt anschaulich die Abnahme des Drehmomentes der Feder einer Uhr über die Zeit.
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Ohne technische Hilfsmittel wären also die Schwankungen der Präzision bei einer Uhr mit 31 Tagen Gangreserve inakzeptabel! Und so ersann A. Lange & Söhne das sog. Nachspannwerk, um die vom Federhaus an die Gangpartie abgegebene Energiemenge, unabhängig von der Spannung der Feder, konstant zu halten.
alang_image„Constant Force“- Mechanismen gab es schon früher und auch bei A. Lange & Söhne. Der Antrieb per Kette und Schnecke (s.o.) bei den Pour Le Mérite-Modellen des Hauses ist ein schönes Beispiel.

Einziger Schönheitsfehler: der Antrieb per Kette und Schnecke, den es ja schon vor über einhundert Jahren bei A. Lange & Söhne gab, benötigt viel Platz im Uhrwerk. Zusammen mit den gewaltigen Federhäusern der Lange 31 wären die Dimensionen der Uhr in den untragbaren Bereich abgedriftet.

Also musste eine andere Lösung gefunden werden, das Nachspannwerk entstand.

Bevor ich auf die Funktion des Nachspannwerkes eingehe möchte ich noch die Bedeutung der Lange 31 als Technologieträger erwähnen. Uhren wie die Lange Zeitwerk, welche ein Nachspannwerk für die kraftaufwändige Schaltung der Zahlenscheiben nutzt und damit Präzisionsschwankungen beim Schaltvorgang vermeidet, nicht möglich gewesen.a-lange-soehne_zeitwerk-minutenrepetitionOder die Richard Lange Ewiger Kalender Terraluna, welche ebenfalls ein Nachspannwerk für die Schaltung der diversen Anzeigen des Ewigen Kalenders und der Himmelsscheiben nutzt. Auch dieses Modell wäre ohne die Technologie der Lange 31 nicht möglich gewesen.
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Das Nachspannwerk

Der Mechanismus des Nachspannwerkes bewirkt also, dass eine vorgespannte Antriebsspirale auf der Sekundenradwelle beim Entspannen eine immer gleiche Energiemenge an das Ankerrad weitergibt. Alle zehn Sekunden wird diese an einem Spiralklötzchen befestigte Spiralfeder an ihrem äußeren Ende wieder um 60 Grad nachgespannt. Nun muss es noch eine Vorrichtung geben, die diesen Bewegungsablauf zuverlässig und präzise steuert. Diese Aufgabe übernimmt die Unruh. Sie bewirkt nicht nur den gleichmäßigen Lauf der Sekundenwelle, durch die die genaue Zeit angezeigt wird, sondern zugleich auch den zyklischen Aufzug des Nachspannwerks. Dies geschieht über ein Reuleaux-Dreieck, eine Kurvenscheibe in Form eines gleichseitigen Dreiecks mit konvexen Seiten, die auf der Sekundenradwelle befestigt ist. Alle zehn Sekunden, das heißt nach jeder Drehung von 60 Grad, bewegt es einen raffiniert konstruierten Schwenkhebel. An seiner Innenseite greifen zwei Paletten abwechselnd in ein Rad mit nur einem Zahn, das über ein Räderwerk mit dem Federhaus verbunden ist, und hemmen dessen Lauf nach jeder 180-Grad-Drehung. Mit jeder Drehung wird die zuvor beschriebene Antriebsspirale blitzschnell wieder ein Stück nachgespannt und die dabei aufgenommene Energie über die nächsten zehn Sekunden an das Ankerrad abgegeben. Zwar schwankt der Drehmomentverlauf innerhalb dieser zehn Sekunden minimal, im Durchschnitt jedoch bleibt die Energieabgabe konstant – 31 Tage lang. Der Bewegungsablauf des Nachspannwerks, der äußerlich dem einer Hemmung gleicht, kann durch den Saphirglasboden beobachtet werden. Ein transparenter Saphirlagerstein gibt den Blick frei auf das spannende Zusammenspiel von dreieckiger Kurvenscheibe und Schwenkhebel. Das Nachspannwerk verhindert also, dass das nachlassende Drehmoment aus dem Doppelfederhaus den Gang der Uhr negativ beeinflusst. Das Ergebnis: gleiche Energieabgabe, gleiche Amplitude, gleiche Ganggenauigkeit bis zum 31. Tag. Dann stoppt ein Abschaltmechanismus das Uhrwerk. Theoretisch könnte das Werk also noch weiter laufen. Doch dann fiele die Kraft der Zugfeder unter das Drehmoment der Zusatzspirale und das Nachspannwerk könnte seine Funktion nicht mehr zuverlässig erfüllen.
(Auszug aus der technischen Beschreibung von A. Lange & Söhne)

Das folgende Diagramm verdeutlicht den Kraftfluss zwischen Federhaus und Hemmung und somit die Funktion des Nachspannwerkes (Kurve unten) im Vergleich zum Zustand ohne Nachspannwerk (Kurve oben)
richard-lange-terraluna-constant-force-torque-chart1Und hier findet sich das Nachspannwerk im Kaliber L034.1 der Lange 31.
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Lange nimmt so im Reigen der Uhrenmarken tatsächlich eine Sonderstellung ein.

Und so sind es genau diese technischen und technologischen Meisterleistungen, die A. Lange & Söhne in meinen Augen derart interessant machen.6a7546823996260fdf7f9a4a179b95de
Wenn man nun die eingangs erwähnte Neuheit des Jahres 2017, den Tourbograph Perpetual „Pour le Mérite“ anschaut dann erkennt man die Komplexität dieser Uhr u.U. etwas besser. Neben dem beschriebenen Kette & Schnecke-Mechanismus verbaute Lange hier noch die Mechanismen eines Ewigen Kalenders, eines Flyback-Chronographen und ein Tourbillon in einer einzigen Uhr!
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Das ergibt dann in der Summe 684 Einzelteile, die dieses einzigartige Uhrwerk bilden. Und bei dieser Rechnung ist die Kette, die bei diesem Modell aus 636 Einzelteilen besteht, nur als ein Bauteil gezählt worden.

Das ist Wahnsinn! Auch wenn so eine Uhr sicher preislich so weit weg ist, dass sie ein Traum bleibt.